Brot, das die Hoffnung nährt

Brot, das die Hoffnung nährt

Hey, Ali – hast du das auch gesehen?
Was denn – Alma?

Ich hab‘ heut‘ morgen im Café auf dem Marktplatz gesessen,
da hab‘ ich zu dem großen Gebäude geschaut,
das die Christen hier im Land „Kirche“ nennen;

und da sind auf einmal mit Gesang viele Leute herausgekommen;
es hat eine Blaskapelle gespielt;
verschleierte Frauen kamen heraus und sangen.
Doch da kamen auch besonders gekleidete Jungen und Mädchen…

und dann ging da ein Mann
festlich gekleidet in kostbarem Gewand
der trug – kein Transparent – wie bei ’ner Demo
der trug vielmehr
ein goldenes Gefäß mit einem Strahlenkranz

und in dem goldenen Gefäß
in einem Glasröhrchen
ein kleines weißes
Scheibchen Brot. – Merkwürdig.

Und da war so etwas wie ein Garten-Pavillon
und der Mann stellte sich darunter
und dann setzte sich die Demonstration in Bewegung.

Viele Leute gingen ganz friedlich hinter her
und sangen und beteten aus einem kleinen Buch
das sie bei sich hatten.
Aus einem Megaphon hörte man keine Parolen
sondern Gebete.

Als die Leute dann über den Marktplatz gingen
und an mir vorbeikamen
da schauten viele weg
als wollten sie sagen: „weg da – ich gebe nichts“ –

Doch einige schauten mich freundlich an
da fragte ich sie:
Was ist das,
was der Mann da trug
in dem goldenen Gefäß?

Und da sagte ein Mann,
das ist kein Gefäß –
das ist eine Monstranz.

Er sah an meinem Gesicht –
dass ich nichts verstand.

Da sagte er:
Eine Monstranz – eh –
das ist das Schaufenster Gottes.
Hinter diesem Schaufenster
zeigt die Kirche den Menschen
das Kostbarste, was sie hat.

Was???
– Dieses Stückchen Brot
soll das Kostbarste sein?

Da sagte ein anderer –
ein tiefgebeugter:
das ist ein Stückchen Brot
hinter dem ungeheuer viel steckt.

Ich war betroffen
von dem Ausdruck seiner Stimme
und fragte:

Was denn?
Was steckt dahinter – sagen Sie es mir?

Da sagte eine alte Frau –
sie war einfach gekleidet – ganz einfach:
sie sagte:

Hinter diesem Stückchen Brot
steckt meine letzte Hoffnung,
dass ich doch einmal gesättigt werde.

Ich habe eine gute Rente
– sagte die alte Frau –
und kann mir viel Brot kaufen
und ich kann jeden Tag hier ins Café gehen
aber – das will ich Ihnen sagen:

Ich habe noch kein Brot gefunden,
das mich satt macht;
aber dieses weiße Scheibchen
ist meine Hoffnung,
denn da steckt ungeheuer viel dahinter:

ein Mann
ein Mensch wie wir,
der hat sich selbst weggegeben
der wurde selbst Brot für die Menschen.

Wissen Sie – sagte die alte Frau:
so einer – der sich selbst weggibt
als Nahrung für die Menschen
so einer ist meine letzte Hoffnung
mein Himmel.

Wissen Sie –
Wir tragen sehr an der Last
einer solchen Hoffnung
– sagte ein anderer:

Wir tragen schwer
an einem solchen Himmel
auf Erden,
denn wir sind es,
die diesen Himmel verhindern
daran tragen wir sehr.

Das kleine weiße Scheibchen Brot
ist für viele
die letzte Hoffnung
dass der Himmel doch einmal kommen wird.

Es ist das Brot,
das die Hoffnung nährt…

Nach diesen Worten gingen sie weiter…

Was meinst du, Ali –
ob dieser Himmel
wohl auch für uns
offen steht?!

Georg Michael Ehlert – nach Gedanken von Wilhelm Willms
https://gmehlert.wordpress.com/feste/fronleichnam/

Bild: Fenster Josefshaus Zeltingen